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450 Kilometer von Leipzig nach Berlin und zurück

Vom Völkerschlachtdenkmal zum Brandenburger Tor

Da war sie wieder: Diese Stimme, die behauptete, dass ich mir in diesem Jahr noch nicht ausreichend Schmerzen durch mein Lieblingshobby zugefügt habe. Die 500 km–Schleife durch Mecklenburg-Vorpommern führte für mich in diesem Jahr „nur“ von Schwerin nach Rügen, aus Zeitgründen habe ich den zweiten Teil der Fahrt nicht mitgemacht. Für die HEW-Cyclassics habe ich nur ein Ticket für die 60 km-Runde bekommen – was mit einem Schnitt von 42 km/h trotzdem viel Spaß gemacht hat. Auch diesmal fahre ich im Prinzip ohne Training – einmal in der Woche ziehe ich den Anhängers meines Kleinen 27 km weit – dass ist alles.


Also kam die Idee gerade recht, von Leipzig nach Berlin zum Brandenburger Tor zu radeln und wieder zurück. 450 km am Stück. Eigentlich war als ursprüngliche Strecke zur Unterstützung des olympischen Gedankens von Rostock nach Leipzig geplant, aber leider sind die beiden Städte schon früh aus dem Rennen als Olympiastandort ausgeschieden. Deshalb ist der neue Plan, mit der Radtour die Restauration des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig zu unterstützen: Es findet sich immer ein Grund, um eine Marathonetappe auf dem Rennrad zu fahren.


Aus den üblichen Verdächtigen unserer Radfahrergemeinschaft blieben noch Ingo, Hendrik und ich übrig. Da Hendrik auch einen Wohnort in Leipzig hat, waren also beste Vorraussetzungen gegeben (das „Bier danach“ wartete gekühlt auf uns). Am Startort kam Rüdiger mit dazu, mein ältester Freund aus Kindertagen. Wir wollten endlich mal wieder Zeit zum klönen haben und da gibt es doch nichts Schöneres als einen Radmarathon.


Start am Sonntag war um 0 Uhr. Da mein Kleiner die Nacht für mich schon um 6 Uhr früh beendete, war ich da schon 18 Stunden auf den Beinen, dazu die Autofahrt von Schwerin nach Leipzig.
Statt der erwarteten 60 Teilnehmer waren nur knapp 30 am Start. Weitere stießen später in Berlin und auf dem Rückweg dazu. Eine kleine Gruppe macht einen Radmarathon erfahrungsgemäß sehr angenehm.
Nach dem Start am Völkerschlachtdenkmal ging es auf die erste Nachtetappe. Abschnitte von zweimal 50 km, dann zweimal 75 km bis Berlin waren am Stück zu bewältigen. Dazwischen kleine Pausen mit Verpflegung.
Es rollte sehr gut los – vielleicht etwas schnell. Der „Vorteil“ bei Nacht ist, dass niemand seinen Tacho lesen kann, deshalb wird nachts häufig schneller als geplant gefahren.

Plötzlich kracht es hinter mir: Hendrik und Ingo sind sich zu nahe gekommen und stürzen. Hektik, Batterielicht, Sanitäter. Zum Glück keine ernsthaften körperlichen Schäden. Die kleine Schürfwunde an Ingos Ellenbogen läuft unter „Souvenir“. Die Räder hat es schlimmer erwischt: Hendrik hat drei gerissene Speichen am Hinterrad, Ingos Brems-Schalthebel ist teurer Schrott, die Bremse hinten funktioniert nicht mehr, alle Gänge lassen sich nicht mehr schalten. Trotzdem geht es nach einigen Notreparaturen weiter, aber die gute Stimmung muss sich erst langsam wieder aufbauen.


Die Nachttemperatur liegt bei kurz unter 10°C, es lässt sich angenehm fahren. Erstaunt bin ich über die langen Abschnitte, die ganz gut laufen: kaum Müdigkeit. Die ersten Sonnenstrahlen kündigen einen schönen Tag an, da freut sich das Radfahrerherz.

Kurz vor Berlin erwartet uns die Polizei, um uns Geleit bis zum Brandenburger Tor zu geben. Heute ist kein Bundesligaspiel und auch sonst scheint nichts in Berlin los zu sein: Wir haben mindestens 12 Polizeimotorräder und zwei Polizeiwagen vor uns! Das haben wir natürlich verdient, aber ist doch sehr aufwändig. Allerdings machen die Jungs ihren Job ausgezeichnet, selbst große Kreuzungen werden problemlos schnell gesperrt: Ohne eine einzige rote Ampel beachten zu müssen, können wir die 20 km bis ins Zentrum von Berlin radeln. Ein tolles Gefühl, besonders für die Berliner unter den Radfahrern.


Am Brandenburger Tor erwartet uns zwar keine Menschenmenge, dafür aber ein leckeres Gulasch mit Nudeln. Schöner Ausgleich zu Riegeln und Brötchen. Rüdigers Freundin macht schöne Fotos für`s Familienalbum und nach einer halben Stunde geht`s weiter. Er selbst bleibt in Berlin, da er hier wohnt und in wenigen Stunden wieder arbeiten muss. Das Angebot, bei ihm zu bleiben, reizt ungemein, denn eigentlich sind wir alle drei schon ziemlich leergefahren, aber was soll`s, dass Bier steht in Leipzig.


Die anderen Radfahrer sehen alle sehr fit aus. Besonders die Radler vom Radladen „Die Speiche“, die als Aufpasser und Loch-zu-Fahrer mit dabei sind. Beeindruckend sind vor außerdem die drei Frauen im Tross, die jedes Tempo mitfahren und überhaupt keine Probleme haben. Also leiden wir drei still weiter und fahren Richtung Leipzig.
Aus Berlin-Zentrum werden wir 25 km bis Potsdam von der Polizei begleitet. Zwar langsam, aber unglaublich angenehm, wie wir ab Potsdam feststellen müssen: Plötzlich müssen wir uns wieder an Straßenverkehrsregeln wie rote Ampeln halten, was doch ziemlich lästig und zeitraubend ist.


Ohne nennenswerte Zwischenfälle geht es bis kurz vor Leipzig, kleine Stadtrundfahrt durch Wittenberge eingeschlossen. Dann kommen die Ausläufer des Fläming, einer Hochgebirgskette direkt vor Leipzig. Na ja, eigentlich sind es nur rollende, lang gezogene Hügel, die nach 400 km in den Beinen aber schon bemerkenswert sind. Überraschenderweise erlebe ich die Berge als willkommene Ablenkung und trage mit Begeisterung zu hohem Tempo bei. Schon faszinierend, zu was ein Körper so fähig ist.


Kurz vor dem Ziel, dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, halten wir an, um die Sponsoren T-Shirts anzuziehen. Zum Glück ist es dunkel, denn die Farben sind heftig (selbst als Schlafshirt wurde es zuhause abgelehnt…). Pünktlich um 20 Uhr erreichen wir den Zielstrich und werden mit Fackeln und Musik von vielen Menschen begrüßt. Knapp 450 Kilometer bei einem Schnitt von fast 30 km/h liegen hinter uns.


Ich schaue mir das Denkmal endlich mal richtig an, wir essen zwei Bratwürste und schon geht es zu Hendrik. Mittlerweile tut mir mein Hintern etwas weh, die Knie schmerzen und ich bin seit 40 Stunden auf den Beinen. Das gekühlte Bier wird mit Limo verdünnt – dann schlafe ich tief und fest.
Und 16 Stunden später kann ich dann auch schon wieder ohne fremde Hilfe aus dem Auto in Schwerin aussteigen...

Der kleine Ausritt hat sich wie immer gelohnt und zwei taube Zehen werden mich noch lange daran denken lassen. Mal sehen, was uns im nächsten Jahr einfällt.

 

Artikel vom 7.9.04 in der Leipziger Volkszeitung:

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